Joachim von Seydlitz

Achtsamkeit

Achtsamkeit bedeutet, mit vollständiger Aufmerksamkeit ganz im gegenwärtigen Augenblick zu sein und das, was wir gerade tun, mit allen Sinnen zu erleben. Gleichzeitig ist es das Bemühen, diese Haltung ohne innere Wertung einzunehmen und uns all unserer Sinneseindrücke vorbehaltlos und voller Respekt bewusst zu werden.

Achtsamkeit ist nichts Neues. Wahrscheinlich wurde sie erstmals bereits vor weit über 2 000 Jahren im Buddhismus beschrieben. Sie ist natürlich eine der Grundpfeiler der buddhistischen Psychologie, findet sich in der 'schwebenden Aufmerksamkeit' der Psychoanalyse wieder, ist stark in den humanistischen Psychotherapien vertreten, deutlich ausgeprägt in der Gestaltpsychotherapie, aber auch in der Gesprächstherapie und übte letztlich sogar starken Einfluss auf die Verhaltenstherapie aus.

Achtsamkeit

Es ist ein Riss in allen Dingen. So strahlt das Licht hinein.

Achtsam zu leben heißt, zu gehen, wenn wir gehen, zu sprechen, wenn wir sprechen und zu essen, wenn wir essen. Und Achtsamkeit bedeutet auch, sich bewusst zu sein, dass wir gehen, sprechen oder essen und sich der Gefühle und Gedanken bewusst zu sein, die das gehen, sprechen und essen in uns auslösen.

Viele Menschen sehen fern, während sie essen, gleichzeitig wird auch noch eine SMS beantwortet. Wenn wir Auto fahren, telefonieren wir und planen gleichzeitig, was wir in einer Stunde einkaufen werden. Wenn wir uns die Zähne putzen, überlegen wir, was heute die Arbeit bringen wird und wenn wir mit dem Partner reden, denken wir bereits an das Programm im Fernsehen danach, bei dem wir dann wieder telefonieren ...

Am Abend sind wir dann erschöpft und haben gleichzeitig das Gefühl, noch nichts wirklich erlebt zu haben, weswegen wir noch irgendetwas Aufregendes machen, wobei wir dann schon wieder an den nächsten Tag denken. Unser Gefühl trügt uns in diesem Fall einmal nicht: Wir haben ja auch tatsächlich nichts wirklich erlebt, weil wir bereits beständig mit etwas anderem beschäftigt waren. Multitasking war noch vor kurzem ein hoher Wert und für viele ist es das noch heute.

Dass dies ausgeprägten Stress und inhaltsarme Betriebsamkeit fördert, ist offensichtlich. Der Stress nun wieder fördert Schmerzen und Angst und ist der Feind von Ruhe und Gelassenheit.

Ganz bei der Sache zu sein, ist der eine Bestandteil der Achtsamkeit. Der zweite ebenso wichtige Bestandteil ist das Vermeiden von Wertungen und die grundsätzliche Akzeptanz dessen, was ist. Wir bewerten Situationen ständig und ohne Unterlass. Das ist auch in vielen Situationen sinnvoll, da es uns hilft, schnell auf Gefahren reagieren zu können. Gleichzeitig führt es häufig jedoch dazu, dass wir nur noch auf unsere inneren Bilder der Welt reagieren und auf das, was diese Bilder in uns auslösen. Häufig sind wir nicht in der Lage, die Welt unvoreingenommen wahrzunehmen.

Wir kommen auf der Fahrt zu einem Termin in einen Stau und beginnen sofort damit uns auszumalen, dass wir zu spät kommen und was die Folge unserer Verspätung sein wird, wobei wir uns dabei schnell die jeweils größten Katastrophen vorstellen. Gleichzeitig reagieren wir innerlich auf unsere Vorstellung, empfinden Angst und geraten in Stress. Der Stress macht uns fahrig und aggressiv. Wir spüren einen Schmerz in der Brust oder im Kopf, der sofort Angst in uns auslöst, woraufhin wir uns an den Computer setzen, um herauszufinden, ob uns wegen des Schmerzes Gefahr droht. Da lesen wir dann etwas über Krebs oder Herzinfarkt und reagieren mit noch mehr Angst und Stress, was den Schmerz wieder erhöht.

Achtsamkeit hingegen bedeutet zu versuchen all dies, die innere und äußere Welt, einfach nur wahrzunehmen. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Wir müssen uns ständig darin üben.

Achtsamkeit kann uns dabei helfen herauszufinden, was bei uns ganz individuell Kopfschmerzen triggert oder besänftigt. Sie kann uns helfen zu erkennen, wann wir Angst empfinden und wovor und wie wir auf diese Angst innerlich reagieren. Viele Menschen werden aggressiv, wenn sie sich bedroht fühlen, und bedrohen dann die anderen und reagieren dann wieder auf deren Reaktion.

Achtsamkeit kann uns helfen wahrzunehmen, wann unser Herz aus dem Takt gerät, wann unser Puls anfängt zu rasen oder wir gar Vorhofflimmern bekommen. Was haben wir vorher getan? Was wiederum löst das rasende Herz in uns aus? Angst etwa, die das Herz noch schneller schlagen lässt?

Letztlich führt gelebte Achtsamkeit zu mehr Ruhe, weil wir die Welt konzentriert erleben. Und sie führt zu mehr Lebendigkeit, weil wir die Welt und uns selbst ganz und vollständig erleben. Und sie führt sogar zu mehr Frieden, innerem und äußerem, weil wir den Automatismus unserer oft destruktiven Reaktionen erkennen und damit auflösen können.

Entspannung

Entspannung
Wir müssen die meisten Fähigkeiten in unserem Leben erst erlernen. Entspannung, die gerade auch für Menschen mit Migräne so wichtig ist, gehört nicht zu den Dingen, die wir in der Schule oder in der Ausbildung gelernt haben. Viele sind schlicht unfähig dazu.

Manche Menschen haben sogar Angst davor sich zu entspannen. Sie müssen dann ständig betriebsam und immer aktiv sein. In der Psychotherapie kann man herausfinden, woher diese Angst kommt, und man kann helfen, sie zu vermindern.

Es gibt eine ganze Reihe von Entspannungsverfahren, die wir lernen können. Nicht jede dieser Entspannungstechniken passt zu jedem. Entspannungsverfahren sollten aber möglichst Freude bereiten und nicht zu einer neuen Verpflichtung werden. Auch hier kann Psychotherapie hilfreich sein, das geeignete Verfahren zu finden und zu erlernen.

Die Möglichkeiten, Entspannung wirklich im Leben zu etablieren, umfassen dabei ganz normale Beschäftigungen; man muss sie nur richtig ausüben: malen etwa oder singen, stricken oder auch angeln. Oder aber wir üben uns in körperorientierten Entspannungsverfahren wie ruhigem Yoga, Tai Chi oder Qi Gong. Klassische Verfahren wie Progressive Muskelrelaxation und der Bodyscan sind in ihrer Wirksamkeit hervorragend erforscht und sind auch dann einsetzbar, wenn man nur wenig Zeit hat.
Schließlich gibt es die Atementspannung und natürlich auch die Meditation in all ihren vielen Möglichkeiten, die uns helfen können, zu uns zu kommen.

Wichtig ist, dass Entspannungsverfahren in den Alltag integriert werden können, weil wir sie möglichst täglich, mindestens aber dreimal in der Woche üben sollten, damit sie ihre Wirkung ganz entfalten können.