Joachim von Seydlitz

Psychoonkologie

ungewisser Weg
Die meisten Menschen können sich noch nach Jahren an den Tag und den Ort erinnern, an dem sie ihre Krebsdiagnose bekommen haben. Sie erinnern sich auch an die Gefühle, die sie dabei hatten, an die Fassungslosigkeit, das Erschrecken und die Hilflosigkeit, die sie befallen hat. Das Leben der meisten teilt sich ein in die Zeit vor der Diagnose und die Zeit danach. Das Leben ist plötzlich anders und nichts ist mehr, wie es vorher einmal war.

Eine Krebserkrankung bringt meist große Unsicherheiten und Ängste mit sich. Was wird mit mir und meinem Körper? Wird die Behandlung helfen? Wie schmerzhaft und belastend ist sie? Was wird mit meinem Partner, meiner Familie, meinem Beruf? Werde ich weiter leben? Die Erkrankung löst, natürlich direkt während der Behandlung, aber auch noch lange danach vielfältige und heftige Gefühle von Angst, Verzweiflung, Resignation, Wut und vor allem Hilflosigkeit aus.

Viele Patienten wollen darüber, wie es ihnen tatsächlich geht, nicht reden. Sie empfinden Scham über ihre Krankheit und dafür, was sie mit ihrem Körper macht und wie sie ihn verändert. Sie wollen ihre Liebsten nicht noch mehr belasten, sie fühlen sich schuldig, weil sie sowieso schon so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So bleiben sie mit der ungeheuren Belastung, die diese Krankheit bedeutet, häufig im Innersten allein.

Auch, wenn die Krankheit schon länger besteht oder die ursprüngliche Behandlung schon lange abgeschlossen ist, bleiben all diese Gefühle und Verwirrungen im Hintergrund bestehen. Dazu kommt nun noch nach überstandener Behandlung die Angst vor einem Rezidiv und das alles eventuell von neuem losgeht und vielleicht sogar noch schlimmer wird. Von dieser Rezidivangst oder Progredienzangst sind durchschnittlich die Hälfte aller Patienten betroffen, einige Studien gehen sogar von fast 90 Prozent Betroffenen aus. All dies sind völlig normale und verständliche Gefühle angesichts der körperlichen, emotionalen und sozialen Bedrohung, die die Krankheit allzu häufig bedeutet. Sie dürfen da sein – aber nach einer angemessenen Zeit sollten sie auch ihren Platz finden und wieder so weit in den Hintergrund treten, wie es eben geht.

Sicherheit
Was die meisten von der Diagnose an angesichts der großen Hilflosigkeit und dem Gefühl, ausgeliefert zu sein brauchen, ist Sicherheit und so viel Gewissheit über das Kommende, wie es geht. Sie brauchen ein Gegenüber, dem sie sich nicht verpflichtet fühlen, es schonen zu müssen. Jemand der ihnen hilft, sich selber realistische Ziele zu setzen, eigene Pläne angesichts der Realität der Krankheit zu machen und das Leben, so gut es eben geht, wieder in die eigene Hand zu nehmen.

Niemand bekommt Krebs, weil er neurotisch ist, das ist Unsinn. Aber die Krankheit fordert alle Ressourcen, über die wir verfügen. Und manchmal waren unsere Fähigkeiten gut mit uns und unserem Schicksal umzugehen schon immer eingeschränkt. Nur bislang haben wir nicht wirklich alle Kraft gebraucht. Angesichts der Diagnose Krebs gilt es jedoch alle Ressourcen, auch die schlummernden zu aktivieren, um der Krankheit begegnen zu können und angesichts der Herausforderung neue Lösungsstrategien zu finden.

Psychoonkologie kann natürlich keine körperliche Behandlung ersetzen! Aber sie kann sie ergänzen, gerade weil Krebs eine Erkrankung ist, die den ganzen Menschen in all seinen Bereichen betrifft und verändert. Dabei sollte das Vorgehen multimodal sein und möglichst viele der anderen Behandler mit einbeziehen.

Die Krankheit fordert Sie als gesamte Person, nicht nur den Körper. In der Psychoonkologie gibt es deshalb Raum, über alle aufkommenden Gefühle, über alle sozialen, körperlichen und emotionalen Veränderungen zu reden, um wieder möglichst viel eigenen Einfluss auf das eigene Leben nehmen zu können und Gelassenheit angesichts der Realität zu finden.

Die Angehörigen von Krebspatienten sind in allen Phasen der Erkrankung sogar höheren psychischen Belastungen ausgesetzt, als die Patienten selber. Sie befinden sich in einer Doppelrolle, weil sie dem Patienten helfen und ihn stützen wollen. Andererseits bleiben sie mit ihren eigenen Ängsten und Belastungen auch noch allein, weil sie diese nicht mit dem Patienten teilen wollen. Auch sie haben Angst vor Verschlechterungen oder Rezidiven und sind einem ganz erheblichen psychischen Stress ausgesetzt.

In Göttingen können Sie Rat und Hilfe auch bei der Diakonie Krebsberatungsstelle finden. Wenn Sie stationär im UMG sind oder dort über die Ambulanz angebunden sind, ist die dortige Psychoonkologie hilfreich.