Joachim von Seydlitz

Psychokardiologie

Therapie-Angehoerige
Schwere Erkrankungen sowohl am Herz als auch am Gehirn hinterlassen in der Psyche noch tiefere Spuren als andere Krankheiten. Wir nehmen beides intuitiv als die verletzlichsten Organe war und fühlen uns deshalb noch stärker bedroht, wenn hier etwas verletzt ist. Bis zu 20% der Patienten entwickeln nach einem Herzinfarkt, einer Herzoperation, womöglich noch mit Herz-Lungen-Maschine und nachfolgendem Aufenthalt auf der Intensivstation oder gar einer Reanimation, in den darauf folgenden Wochen eine Posttraumatische Belastungsstörung mit Ängsten, Schlafstörungen, Depressionen und Übererregbarkeit oder andere Symptome.

Einige Studien legen nahe, dass die reaktiven psychischen Probleme und Störungen bei Angehörigen der Patienten, also meist den Partnern oder Kindern, prozentual sogar noch ausgeprägter sind. Für diese ist die erlebte Hilflosigkeit, die Ungewissheit und die Möglichkeit, der Angehörige könnte sterben, offenbar noch belastender. Zudem wird Patienten wie Angehörigen nach dem Infarkt oder der Operation mehr oder weniger schnell klar, dass das Leben meist nicht mehr so weiter gehen kann wie vor der Erkrankung. Veränderungen sind notwendig um das Leben an die Erfordernisse der Erkrankung anzupassen. Teilweise ist dies mit deutlichen, auch sozialen Veränderungen verbunden. Beziehungen müssen neu geordnet und Rollen im Leben neu ausgehandelt werden.

Häufig haben Herzpatienten weitgehend das Zutrauen in und für ihren Körper verloren. Schnell erscheint alles als bedrohlich und manche entwickeln den Wunsch, nur noch zuhause in der Schonhaltung auf dem Sofa zu verbringen. Dabei schadet dies dem Herzen natürlich letztendlich am meisten. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt für die Patienten der direkte und sofortige Zusammenhang zwischen Gefühlen und Herztätigkeit dar. Die Patienten merken zum Beispiel, dass das Herz schneller schlägt und bekommen Angst. Dies führt in Sekundenbruchteilen zu noch schnellerem Herzschlag, der nun wieder als noch bedrohlicher wahrgenommen wird. Die Sicherheit der Möglichkeiten und Grenzen des Körpers muss erst wieder neu erlernt und erfahren werden.

Psychokardiologie
Manche Patienten erleben nach der Implantation eines Herzschrittmachers Ängste und Unsicherheiten. Wesentlich intensiver reagieren verständlicherweise jedoch Patienten mit einem ICD–Defibrillator. Löst dieser aus, so verunsichert das die meisten ganz erheblich. Löst er jedoch mehrfach aus, so führt das in sehr vielen Fällen zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung, vorwiegend mit Symptomen der Angst und der Erschreckbarkeit, Vermeidungshaltung, Depressionen sowie ausgeprägten Schlafstörungen.

Es ist wichtig dabei festzuhalten, dass alle schwereren körperlichen Erkrankungen mit psychischen Veränderungen wie Angst, Unsicherheit und Stimmungsschwankungen einhergehen. Dabei handelt es sich gar nicht unbedingt um eine psychische Erkrankung, sondern häufig in erster Linie um eine belastende psychische Reaktion. Viele Menschen haben jedoch auch vor der körperlichen Erkrankung bereits psychische „Sollbruchstellen“ oder fragile Bereiche. Wenn es dann zu heftigen Belastungen wie einer Herzerkrankung kommt, drohen diese dann auch noch Schaden zu nehmen und anzurichten.

Viele kardiologische oder herzchirurgische Kliniken verstehen sich ausschließlich als technischer Reparaturbetrieb des Herzens. Meist werden die psychischen Nachfolgeprobleme von Eingriffen am Herzen vor dem Hintergrund von Personalmangel und mangelnden finanziellen Ressourcen einfach ausgespart. Die Patienten jedoch, die glaubten nach dem Klinikaufenthalt sei alles in Ordnung, treffen psychokardiologische Symptome dann aber völlig unvorbereitet, da die Möglichkeit der Entstehung solcher Probleme noch nicht einmal erwähnt wird. Es gibt dabei natürlich positive Ausnahmen. Sollten Sie sich noch in der Phase vor einer Reha befinden, dann ist in kardiologischer wie psychokardiologischer Hinsicht das
Reha-Zentrum Seehof eine gute Anlaufstelle.

Nachfolgende ambulante Psychokardiologie und Psychotherapie können bei psychischen Reaktionen auf die Herzerkrankung als auch bei der Verstärkung bereits vorher vorhandener Symptome, wie etwa Angst, hilfreich sein. Bei großen Belastungen sollten wir versuchen alle Unterstützungsmöglichkeiten zu nutzen. Die psychischen Reaktionen können ansonsten im schlimmsten Fall die körperliche Gesundung beeinträchtigen. Dabei sollte das Vorgehen, wie unter ‚
Multimodale Therapie’ angesprochen, bei Bedarf in Abstimmung mit anderen beteiligten Therapeuten, hier natürlich der Kardiologe und eventuell auch ein Sporttherapeut, stattfinden. Auch die Angehörigen können für die erhebliche emotionale Belastung, der sie durch die Erkrankung des Partners ausgesetzt gewesen sind, Unterstützung bekommen.